Rona Kobel – Ikonen

von Dr. MARGIT IM SCHLAA, Katalog Meisterschülerpreis 2015, UdK Berlin

Porcelain Love (R&J), Ultra Chrome Print, 100×150 cm, 2016

Rona Kobels Porzellanfiguren und Fotografien sind Ikonen im doppelten Wortsinn: Sie potenzieren den Kultstatus von Medienbildern im 21. Jahrhundert. Grundlage ihrer Arbeiten sind massenhaft verbreitete Pressefotografien, bzw. Szenen aus bekannten Hollywoodfil- men, die Angelpunkte der kollektiven Erinnerung repräsentieren und als Medienikonen einen hohen Wiedererkennungswert haben. Der besondere Reiz der Arbeiten liegt jedoch in ihrer Verdopplung der ikonenhaften Qualität der Vorlagen. Über deren Re-Inszenierung hinaus stilisiert Kobel die dargestellten Szenen zu Archetypen in strahlender Ästhetik, welche die Ikonisierung des Dargestellten auf die Spitze treibt. In glänzend weißes Por- zellan gegossen bzw. in aufwendig digital bearbeiteten, farblich stark reduzierten Hoch- glanzfotografien stillgestellt, präsentieren sie kollektive Urerfahrungen und Vorstellungs- muster, wie Gewalt, Opfer, Liebe und Sexualität, in pervertierender bzw. stark idealisierter Form, die Fragen nach den Werten unserer Gesellschaft des Spektakels hervorrufen.

Die Porzellanfiguren der Serie shining recollection führen diese künstlerische Strategie auf irritierend verführerische Weise vor Augen. Sie zeigen Opfer grausamer Gewaltakte oder katastrophaler Umstände aus Pressefotografien der 1960er Jahre bis heute, die aufgrund ihrer Drastik und ihres zum Teil voyeuristischen Kalküls großes Aufsehen erregten. Dar- gestellt sind beispielsweise das gewaltsam verstümmelte Gesicht der Afghanin Bibi Aisha Mohammadzai, das 2010 auf dem Cover des berühmten US-Nachrichtenmagazins TIME abgebildet war, oder der als Kapuzenmann bekannte irakische Häftling Abdou Hussain Saad Faleh, der im Oktober 2003 von US-Soldaten unschuldig verhaftet, im Gefängnis Abu Ghureib gefoltert und dabei fotografiert wurde. Im Unterschied zu ihren medialen Refe- renzen, die die Gräueltaten in grellen Farben, gestochen scharf und in Nahsicht darstellen, um das historisch Einzigartige als einmaliges, aufsehenerregendes Ereignis herauszustel- len, konzentrieren sich Kobels Skulpturen nicht auf die Erzielung eines Schockeffekts durch fotorealistische Inszenierung. Die Reproduktion der medialen Bilder in weißem Porzellan entzieht den dargestellten Schreckenstaten vielmehr ihren historischen Aktualitätsbezug und ersetzt den Eindruck des Besonderen und Konkreten durch die Aura neutraler Zeitlo- sigkeit, die den Skulpturen eine konterkarierende Bedeutung verleiht. Das zeitlose, weiße Porzellan lässt Terror und Schrecken als conditio humana, als roten Faden der Mensch- heitsgeschichte deutlich werden. Dieser Aspekt wird noch durch die Eliminierung einer spezifischen künstlerischen Handschrift unterstrichen, die die Skulpturen in die Nähe von Readymades oder Kunstwerken der Pop Art rückt und damit prinzipielle Reproduzierbar- keit suggeriert, sowie durch die kunsthistorischen Bezüge zu christlicher Ikonografie, die man an der marienhaften Darstellung der Bibi Aisha Mohammadzai oder an der Insze- nierung des gefolterten Abdou Hussain Saad Faleh als gekreuzigten Jesus ablesen kann. Kobels Porzellanarbeiten erschüttern also nicht, weil sie spektakulär Einzigartiges reprä- sentieren, sondern weil sie die ewige Wiederholung des immer gleichen Wahnsinns her- vorheben. Und die Ästhetik der Arbeiten betont die Kontinuität des Schreckens noch, denn sie ermöglicht keine Katharsis, ganz im Gegenteil: Das weiße Porzellan verleiht den Skulpturen zwar ein Ambiente der Andacht, in dem sie mit der gebotenen Hingabe betrachtet (Susan Sontag) und mit der symbolischen Farbe des Gefühls gefüllt werden können, das beim individuellen Betrachter vor dem Hintergrund seiner jeweiligen Erfahrungen und Wertvorstellungen entsteht. Doch was sich in diesem Raum der Reflexion darüber hin- aus zeigt, ist der krasse Kontrast zwischen der zeitlosen Schönheit des weißen Porzellans und der brutalen Abscheulichkeit des Dargestellten. Im Gewand des kostbaren Materials fixiert er auf nahezu perverse Art und Weise die eigentliche Bedeutung der repräsentier- ten Medienikonen, nämlich ihren ökonomischen Wert als lukrative Vermarktungssujets: Terror sells.

Eine ganz ähnliche Wertigkeit bringen Kobels fotografische Serien Porcelain Love undParallels zum Ausdruck, die sich mit der Prägung von Vorstellungen über Liebe und Se- xualität in der westlichen Gesellschaft durch bekannte Hollywoodspielfilme beschäfti- gen (Striptease, Brokeback Mountain, Vom Winde verweht, Natural Born Killers, etc.). Sex sells könnte der Untertitel der Fotografien aus der Serie Porcelain Love heißen, deren auf makellose, hochglänzende Fotopapiere gebannte, attraktive, nackte Protagonisten das be- gehrlich-verführerische und damit das finanziell einträgliche Potenzial des Themas nicht nur für die Filmindustrie zum Ausdruck bringen. Dabei siedeln die Fotografien Liebe zwi- schen Erotik (Striptease), Tragik (Brokeback Mountain) und Macht (Natural Born Killers) an, die das Spannungsfeld dieses globalen Phantasmas des 21. Jahrhunderts markieren. Seine Aufladung mit so widersprüchlichen Vorstellungen wie ewige Treue + starke, un- veränderlich positive Gefühle = romantisches Beziehungsideal vs. Liebe = kommerzielle Ware zeigen die Arbeiten durch Überlagerung von Bildern aus dem kollektiven visuellen Gedächtnis. Auf dieser Bildschichtung beruht die Macht und sogartige Wirkung von Ko- bels Fotografien, für die Porcelain Love – S ein eindrückliches Beispiel ist. Das Foto, das eine Szene aus dem Film Striptease mit Demi Moore aufgreift, spielt mit Bildern weiblicher Ikonen aus Kunst- und Filmgeschichte (Skulpturen von Göttinnen aus der griechischen Mythologie in klassischer Kontraposthaltung; Rokokoskulpturen aus weißem Porzellan; Engelskulpturen aus dem 19. Jahrhundert; Marilyn Monroe; Vampirfilme) und macht da- raus eine prototypisch anmutende Repräsentation der Frau im 21. Jahrhundert. Die Ver- bindung einer aggressiv-herausfordernden Pose mit einem jungfräulichen, unnahbar glat- ten und makellosen Körper spiegelt das gefallsüchtige Verhalten von Frauen, welche die Selbstdarstellungsmöglichkeiten der digitalen Medien zur demonstrativ selbstbewussten Zurschaustellung ihres nackten Körpers nutzen und damit dem sexuellen Imperativ der Medien Folge leisten. Ausgestellt auf einer Plinthe ist dieses weibliche Selbst-Bild zur Ma- nifestation einer neuen Weiblichkeit und zum Monument für die Menschheit geronnen.

Porcelain Love – BM und Porcelain Love – VWV2 nehmen Bezug auf zwei Szenen aus den Filmen Brokeback Mountain und Vom Winde verweht, die das tragische Ende von roman- tischen Liebesbeziehungen thematisieren. Auch hier überlagern sich bekannte Bilder aus Popkultur, Medien- und Kunstgeschichte, doch hier tragen sie zur Klischeehaftigkeit der dargestellten Liebesszenen bei. Die Fotografien rücken in die Nähe von Jeff Koons Werken, die den Künstler zusammen mit Cicciolina in sexuell eindeutigen, kitschig gefühligen Po- sen zeigen. In Anspielung an die Szene, als Rhett Butler Scarlett O’Hara aus dem brennen- den Haus rettet, hält in VWV2 ein nackter junger Mann einen weiteren in den Armen, wo- bei die nackten Männer in Gestalt einer christlichen Pietà posieren und sich intensiv in die Augen schauen. Die Bildbezüge verstärken nicht nur die Ikonenhaftigkeit des Fotos, sie werten die emotionale Botschaft der Trauer um einen sterbenden geliebten Menschen in einer Geborgenheit vermittelnden, liebevollen Geste als überkulturellen Archetypus auf. Daher wirkt auch die homoerotische Interpretation der Szene nicht provokativ, sondern ist als Ausweis der Vielfältigkeit von Liebesbeziehungen im 21. Jahrhundert und in seiner überzeitlichen, symbolischen Bedeutung als intensiver Trauer- und Liebesakt lesbar.

Die hyperidealisierende Ästhetik der Serie Porcelain Love bricht Kobel in den Parallelswieder auf, indem sie die strahlendweißen Porcelain Love-Fotos in stark kontrastierte Schwarz-Weiß-Fotografien rückübersetzt, welche die arbeitsaufwendige Herstellung derPorcelain Love-Fotografien transparent machen. Die verschiedenen Graustufen und die malerisch wirkende Gestaltung einzelner Körperpartien zeigen die Zerlegung des Arbeits- prozesses in einzelne digitale Bearbeitungsschritte, welche die dargestellten Personen auf- grund verschatteter Körperteile entweder fragmentiert (Parallels – Q1) oder aufgrund hell strahlender Körperpartien als durchscheinende Skelette (Parallels – BM, Parallels – RHPS) erscheinen lassen. Diese Röntgenbildästhetik ruft nicht von ungefähr Assoziationen zum Vanitas-Motiv auf, dekonstruiert sie doch nicht nur die Arbeit mit Photoshop, sondern auch die magische Wirkung der Fotografien. Kobel spielt die Illusion romantischer Liebe, die in den digital perfekt überarbeiteten, hoch stilisierten Super-Highendfassungen derPorcelain Love-Fotografien zum Ausdruck kommt, gegen die Dekonstruktion dieser Vor- stellung durch die Making-of-Fassung der Parallels aus, welche die Vergänglichkeit und Abgründigkeit skelettierter Körperpaare als Gegenteil von ewiger Liebe repräsentiert. So machen die Fotoserien von Rona Kobel deutlich, dass es nicht nur vieler digitaler Über- blendungen und Arbeitsschritte bedarf, um das Ideal ewiger Liebe zu inszenieren, sondern dass man auch einen komplexen Mix aus Kunst- und Filmgeschichte bemühen muss, um es aufrecht zu erhalten.