Horror statt Dekor – Das makabre Tafelservice der Künstlerin Rona Kobel im Drawing Room Hamburg

Szene Hamburg, Juni 2018

von Karin Schulze

Löffelt man die Vorspeise aus, vielleicht ein schaumiges Erbsensüppchen, dann starrt einen vom Grund des Tellers das afghanische Lynchmordopfer Farkhunda an. Das Hauptgericht mundet von einem Teller, den nicht Goldrand oder Zwiebelmuster zieren, sondern Blüten, die „Judenkirsche“, „Zigeunerblume“ oder „Hottentottenfeige“ heißen. Zum Dessert wird mit der tortalitär-Platte Süßes angereicht. Und der Espresso fließt aus einer Kanne mit Tolle, die maisgelb ist wie Trumps Haarhaube.
Geschmacklos? Klar! Darum geht’s. Die Berliner Künstlerin Rona Kobel verdirbt uns kunstvoll den Appetit. Ihr Service, das in Zusammenarbeit mit der Manufaktur KPM entstand, verkehrt die harmlosen Motive herkömmlichen Essgeschirrs in das, worauf wir durch repräsentatives Tafelzeug gewöhnlich nicht gestoßen werden: auf Totalitarismus, Rassismus und die Krise der Demokratie.
Zu sehen ist Kobels Politporzellan in der vermutlich charmantesten Galerie Hamburgs. Der Drawing Room liegt im vierten Stock eines stilvollen Uhlenhorster Altbaus. Dort, in ihrer Wohnung, die sie mit alten Möbeln, junger Kunst und viel Geschmack eingerichtet haben, betreiben Esther Schulte und Alexander Sarailly eine eigensinnige Mischung aus Projektraum, Galerie und Salon.
Aktuell sind neben dem Service auch Kobels Aktualisierungen der Sagengestalt Europa so wie eine rätselhafte Installation von um Ausdruck ringenden Porzellanhänden zu sehen. Das gedankliche und handwerkliche Prunkstück der Schau aber ist der Tafelaufsatz.
Wo sonst Grazien oder Putten eine Obstschale hochhalten, sind jetzt heruntergekommene allegorische Figuren am Werk, die eigentlich die Säulen unserer Zivilisation sein sollten: Die Freiheit ist mit sich selbst beschäftigt. Sie hält die Schale nur halbherzig, während sie sich mit Mikroshorts und Rüschentop aufreizend reckt und für ein Selfie post. Die Gestalt der Gerechtigkeit ist ausgehöhlt und die Waage an ihrem Gürtel hängt bedenklich schief. Und der Kapitalismus trägt kein „menschliches Antlitz“, ist vielmehr Muskelmonster mit Wolfsfresse und trampelt Mensch wie Lorbeerkranz nieder.

Wer sich von diesem Personal die Früchte der Zivilisation kredenzen lässt, das macht Kobel wunderhübsch deutlich, sollte auf Maden, Schimmel und faule Stellen gefasst sein.